ÜBERSICHT


An jeder Schule gibt es aussergewöhnlich begabte Schülerinnen und Schüler. Manche kennt man, weil sie über Jahre hinweg sehr gute schulische Leistungen erbringen oder vielleicht eine Klasse übersprungen haben. Andere werden jedoch während ihrer ganzen Schulzeit gar nicht erkannt. Sie sind möglicherweise ganz schlechte Schülerinnen und Schüler und sind dennoch begabter als ihre Klassenkameraden.

 

Ab wann spricht man von intellektueller Begabung und Hochbegabung? Man spricht von einer kognitiven Begabung, wenn die intellektuellen Fähigkeiten mit einem IQ zwischen 115 und 130  überdurchschnittlich sind. Dies ist etwa bei 20 bis 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen der Fall. Von intellektueller Hochbegabung spricht man häufig dann, wenn eine extrem hohe Intelligenz mit einem IQ von 130 oder höher vorliegt. Dies betrifft etwa zwei bis drei Prozent der Kinder und Jugendlichen. Es sind verschiedene Modelle entwickelt worden, welche neben den intellektuellen Fähigkeiten auch die äusseren Einflüsse berücksichtigen, wie zum Beispiel Motivation und kreatives Denken (Renzulli (1975), Mönks (1985), Gardner (1983), Heller (1992, 2000), Prof. Dr. Tessa Kieboom (Exentra, 2012).

 

Teilbegabungen. Neben einer hohen allgemeinen intellektuellen Begabung gibt es auch bestimmte Begabungen in Teilbereichen der Intelligenz, wie zum Beispiel dem mathematischen Denken oder der sprachlichen Fähigkeit. Solche bereichsspezifischen Begabungen sind sogar häufiger zu finden als eine hohe allgemeine Begabung.

 

Werden hochbegabte Kinder und Jugendliche in der Schule entdeckt? Bei einer Schulgemeinde mit 1000 Kindern, von denen zwei Prozent hochbegabt sind, entspricht dies 20 Schülerinnen oder Schülern. Daher kann man abschätzen, dass viele hochbegabte Schülerinnen und Schüler im Moment noch nicht entdeckt worden sind. Dazu kommt, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die trotz sehr hoher Intelligenz in der Schule nur durchschnittliche oder sogar unterdurchschnittliche Leistungen erbringen.

 

Heisst dies, ab einem IQ von 130 sind die kognitiven Fähigkeiten anders? Der Grenzwert von einem IQ von 130 wurde vor allem für die Forschung so gewählt. In unserem Alltag zu Hause oder in der Schule ist das strikte Festhalten an einem IQ-Wert weniger sinnvoll. Man erwartet kaum andere Leistungen von einem Kind mit einem IQ von 128 als von einem Kind mit einem IQ von 130, wenn diese Kinder sich sonst nicht unterscheiden.

 

Gibt es eine kognitive Höchstleitung ohne Förderung? Kognitive Begabung wird oft mit Höchstleistung gleichgesetzt. Dies ist jedoch gar nicht immer der Fall. Damit sich eine Begabung zu einer Höchstleistung entfaltet, sind in allen Bereichen fast immer Lern- und Übungsphasen nötig, die aus Förderung durch das Umfeld bestehen. In der Musik oder im Sport werden Spitzenleistungen nur durch langjähriges Üben und Training unter professioneller Anleitung erreicht. In unserer Gesellschaft gilt dies als selbstverständlich. Ähnlich verhält es sich bei einem kognitiv (hoch)begabten Kind. Diese Kinder müssen durch Wissensvermittlung und herausfordernde Aufgaben gefördert und durch fähige Pädagoginnen und Pädagogen begleitet werden. Wenn dies nicht gemacht wird, verkümmern ihre Fähigkeiten, genauso wie bei einem Spitzensportler, der nicht gefördert wird. Lewis Terman6 hat erwähnt, dass «begabt sein nicht bedeutet, dass auch überdurchschnittliche Leistungen erbracht werden». In der heutigen Zeit gibt es ein etabliertes Fördersystem für sportlich und musisch talentierte Kinder und Jugendliche, aber leider gibt es viele Fälle, in denen  intellektuell talentierte Kinder und Jugendliche noch immer ziemlich alleine und ratlos dastehen und zusätzlich noch mit dem Unverständnis ihrer Umgebung zu kämpfen haben.

 

Minderleistung bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen. Hochbegabte Kinder, die entgegen der Erwartung weit unter ihrem Potenzial bleiben, nennt man «Underachiever» (auf Deutsch «Minderleister»). Etwa 15 bis 20 Prozent der Hochbegabten sind «Underachiever», und man beobachtet dies bereits in der Primarschule. Diese Minderleistung entsteht durch Unterforderung. Dadurch, dass kognitiv talentierte Kinder in ihren Fähigkeiten nicht professionell gefördert werden, werden sie ihre Talente auch nicht nutzen. Daher werden manche hochbegabte Schülerinnen und Schüler das Lernen nie richtig lernen, insbesondere dann, wenn ihnen alles immer zufliegt. Bei der ersten intellektuellen Herausforderung, die Lernen erfordert, fehlt diesen Kindern dann das Know­-how für Lern-­ und Arbeitstechniken. Forschungen haben gezeigt, dass nur 16 Prozent der hochbegabten Kinder ein Universitätsstudium absolvieren, was einem schon zu denken geben müsste.